interessen

„Cultures get very rigid, and so people who go through extreme states come forward with experiences that balance the rigidity. These states could really enrich cultures, if the culture is open-minded enough to understand that. That’s my great hope.”

Arnold Mindell

Stadt, Kultur, transkulturelle Psychotherapie

Ich beschreibe hier meine Interessengebiete, die mit der Psychotherapie verbunden sind. Wie in wahrscheinlich allen Disziplinen gibt es auch in der Psychotherapie eine beobachtbare Tendenz, sich gegen andere Fachgebiete abzugrenzen – insbesondere durch eine enge Schulenausrichtung. Ich glaube, dass diese Tendenz dem Menschen, der ja im Mittelpunkt der Psychotherapie stehen sollte, nicht zugutekommt – insbesondere in einer globalisierten Welt, in der unsere menschliche Vielfalt sichtbarer wird. Moderne Psychotherapie braucht eine Bereitschaft zu echter Offenheit und Integration – kulturell, gesellschaftlich und im Dialog mit anderen Wissenschaften, Kunst und Spiritualität. Wir können unmöglich Expertise in allen Bereichen entwickeln. Mir geht es vor allem darum, meine Neugier lebendig zu halten gegenüber dem Mysterium der menschlichen Existenz.

Kultur, nachdenklich
transcience, Übergang, Transformation, Wandlung, Psychotherapie

das existenzielle

„Nur wer in Angst war, findet Ruhe.“

Søren Kierkegaard

Das Existenzielle ist unsere geteilte menschliche Erfahrung – es sind die Ebenen in uns, die unausweichlich sind, selbst wenn wir unsere Augen verschließen. Es ist das Grundlegende, das Raue, das Wunderbare, das „nicht Therapierbare“ in uns, was uns in unserem Leben leitet, antreibt, Ambivalenzen erzeugt genauso wie Schmerz, Freude und Verzweiflung.

Schrei, Existenzialismus, existenziell, Abgrund, Hände, Verzweiflung

Existenzielle Themen sind z.B. Liebe, Tod, Krieg, Frieden, Freiheit, Verantwortung und Angst. Die philosophische Strömung des Existenzialismus spricht von einem Geworfensein in die Welt, in der der Mensch sich immer wieder selbst erschafft, „zur Freiheit verurteilt“ ist. Wenn wir leben, können wir scheitern. Und Leben bedeutet ständige Wahl – auch wenn wir es uns nicht bewusst machen, sind wir verantwortlich für uns und unser Leben – in all den Ambivalenzen, die unsere Entscheidungen durchdringen mögen. So erzeugt der Prozess der Selbstwerdung unweigerlich Angst in uns - die Erkenntnis von Freiheit verlangt, dass wir Position beziehen als Individuen. Im Angesicht von Liebe und Tod kommen wir mit den tieferen Ebenen unseres Daseins in Berührung, mit dem Transzendenten und Abgründigen, welches letztlich dasselbe ist. 

Boot, Ganges, Freiheit, Einsamkeit, Vögel, existenziell
Tod, Endlichkeit, Schädel

Es gibt Formen der Angst, Einsamkeit, Ohnmacht, Ambivalenz etc. die durch Psychotherapie nicht „heilbar“ sind. Doch wenn es gelingt, uns diesen Erfahrungen zu öffnen bzw. unseren Kampf mit ihnen anzuerkennen, werden wir gerade in ihrem Bewusstsein menschlicher und dadurch doch heiler. 

kultur und gesellschaft

„The real hopeless victims of mental illness are to be found among those who appear to be most normal. Many of them are normal because they are so well adjusted to our mode of existence, because their human voice has been silenced so early in their lives, that they do not even struggle or suffer or develop symptoms as the neurotic does. They are normal not in what may be called the absolute sense of the word; they are normal only in relation to a profoundly abnormal society.”

Aldous Huxley

 

„ ‚Die Souveränität des Volkes wird oftmals nur insofern zum Ausdruck gebracht, als diese einen Staat mit Territorium beansprucht und nationale Identität und Volksgemeinschaft als zwei übereinstimmende Dinge erfindet.‘ (Engin Isin) Ein derartiges Paradigma, das von Natur aus auf Exklusion basiert, bringt, was vielleicht noch gefährlicher ist, neben realen und konkreten Mauern metaphorische und symbolische Mauern hervor, die von Vorstellungen von Andersartigkeit befördert werden, die wiederum durch eine Politik der Angst und Belohnung befeuert werden. Es ist die ‚Mauer in den Köpfen‘, eine deutsche Redensart, die sich besonders schwer niederreißen lässt.“ 

 

Sam Bardaouil & Till Fellrath

Kultur, Armut, Lächeln
Kinder

In den psychodynamischen Verfahren ist die Ursprungsfamilie meist im Mittelpunkt der Betrachtungen. Ohne Frage prägt diese uns am meisten. Aber auch das gesellschaftliche Umfeld, in dem wir aufwachsen, ist prägend. Normen, Atmosphären, Lebensweisen etc. unterscheiden sich grundlegend – nicht nur in unterschiedlichen Ländern oder Kulturkreisen sondern auch in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und Subkulturen, z.B. auch diesseits oder jenseits der Mauer im ehemals geteilten Deutschland. Nicht nur der Mikrokosmos sondern auch der Makrokosmos, in dem wir aufwachsen und uns heute bewegen, übt einen entscheidenden Einfluss auf uns aus. Verschiedene Länder haben verschiedene Seelen und verschiedene Verletzungen. Historisch einschneidende Ereignisse – Kriege, Diktaturen etc. – hinterlassen Traumata in einer Bevölkerung, die transgenerational noch lange weitergegeben werden. Soziale Ungleichheiten – gesellschaftliche Prozesse von Marginalisierung und Ausgrenzung bestimmter Subgruppen, und seien es globale Themen wie eine Frau in einer patriarchalen Gesellschaft zu sein – hinterlassen außerdem Spuren in der Psyche des Einzelnen. Es sind vor allem die Trennungen und Spaltungen, die sichtbaren und unsichtbaren Mauern, die Nationalitäten, Geschlechter, Subgruppen und letztlich auch Individuen durchziehen, die so schmerzhaft sind, wie sie uns einst schützen sollten. Entsprechend dem von Arnold Mindell geprägten holographischen Ansatz bildet sich dasselbe Beziehungsgefüge auf jeder Systemebene ab – im Individuum, in der Dyade, in der Gruppe und im Kollektiv. Wir können uns dieser Macht nicht entziehen, bringen aber neue Impulse auch in andere Systemebenen durch eine aktive Auseinandersetzung mit unserer Psyche. 

transkulturelle Psychotherapie, Mauern, Zerfall
Kinder, Spiel, Grenzen

In einer transkulturellen Perspektive der Psychotherapie geht es um die Anerkennung kultureller Verletzungen sowie um die Akzeptanz und Integration von Andersartigkeit. Es geht ebenso um die Bewusstwerdung gerade jener gesellschaftlichen Prägungen, die den Bestrebungen unseres Selbst (unseres Wesens) entgegenstehen. Auch Psychotherapie ist letztlich ein Produkt unserer Kultur. Wenn Psychotherapie dem Menschen – und vor allem möglichst unterschiedlichen Menschen – gerecht werden soll, gilt es, durch gesellschaftliche Überzeugungen vermittelte Normen und Werte in der Psychotherapie sehr genau unter die Lupe zu nehmen. Wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln wollen, müssen wir von denen lernen, die am Rand stehen. Psychotherapie sollte kein Werkzeug der Gesellschaft sein. Sie sollte der Gesellschaft dienen, indem sie hilft, Überzeugungen und Muster zu dekonstruieren, die Lebensräume beengen – um mehr Platz zu schaffen für alle. Da kulturelle Normen, Überzeugungen und Bewertungen tief in unserer eigenen Psyche und unseren Gewohnheiten verankert sind, ist dies eine schwierige Aufgabe. Das Einlassen auf das Fremde hilft, über diese Normen mehr Bewusstheit zu erlangen – es schafft Abstand zur eigenen Kultur. Wir lernen uns selbst besser kennen, indem wir reisen, uns Menschen aus anderen Kulturkreisen öffnen oder in zunächst fremde Atmosphären eintauchen. Persönlich und beruflich erlebe ich dies als große Bereicherung. 

trauma

„I have come to the conclusion that human beings are born with an innate capacity to triumph over trauma. I believe not only that trauma is curable, but that the healing process can be a catalyst for profound awakening – a portal opening to emotional and genuine spiritual transformation. I have little doubt that as individuals, families, communities, and even nations, we have the capacity to learn how to heal and prevent much of the damage done by trauma. In so doing, we will significantly increase our ability to achieve both our individual and collective dreams.”

Peter Levine

Berge, Leere, Resilienz

Trauma spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Entstehung psychischer Beschwerden. Traumata sind keine inneren Konflikte oder ein Mangel an Fähigkeiten, die noch erlernt werden können. Sie sind Verletzungen der Seele, für die es immer reale Ursachen gibt – Erfahrungen, die bedrohlich, gefährlich und schmerzhaft waren. Der massive Stress, den diese Situationen in uns ausgelöst haben, brennt sich in unseren gesamten Organismus ein, auch wenn die Situation längst beendet ist. Unsere Wahrnehmung der Gegenwart kann so sehr gefärbt sein durch unverarbeitete Traumata, dass wir uns ständig bedroht, gefährdet und ängstlich fühlen. Gleichzeitig verschließt sich etwas in uns, um vor der Unaushaltbarkeit des Erlebten zu schützen, das wir auf die „Welt“ projizieren. Traumata führen daher zu Trennung und Isolation, wir verlieren den Kontakt zu uns selbst und zu anderen Menschen. Levine beschreibt Trauma als Verlust von Verbundenheit. Unsere Lebensenergie ist blockiert, das Leben wird mühsam und schwer. Wir überleben statt zu leben. Dies sind Adaptionen an das Trauma. Da wir zu glauben beginnen, dass wir diese Adaptionen sind – uns also mit diesen identifizieren –  verlieren wir unseren tieferen Selbstkontakt. 

Felsen, Einsamkeit, Dämmerung
Reisfelder, Sonnenuntergang

Unter dem Begriff des Traumas verstehe ich nicht nur Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen und katastrophale Schicksalsschläge. Sehr häufig sind es besonders die scheinbar kleinen Verletzungen, denen wir wiederholt ausgesetzt sind, die tiefe Wunden in uns hinterlassen. Traumata spielen immer dann eine Rolle, wenn unser Leiden massiv wird, wie z.B. im Spektrum der „psychiatrischen Erkrankungen“. Sie können jedoch auch so kompensiert sein, dass wir uns unserer Wunden nicht bewusst sind. Als Kind kommen wir auf die Welt mit einem Gespür dafür, was gut für uns ist und was uns schadet. Wenn dies von unserer Umwelt grundlegend missachtet wird, entstehen Verletzungen. Je mehr wir uns anpassen an eine Umwelt, die uns Schaden zufügt, desto weniger spüren wir die Verletzung – allerdings wirkt sie in uns fort und blockiert unsere Entfaltung. Oft geben wir unsere Verletzungen weiter, indem wir andere behandeln, wie wir selbst behandelt worden sind. Manche Verletzungen dagegen sind so erschütternd, dass sie schwer kompensiert werden können und immer wieder von selbst an die Oberfläche drängen. Es können sich auch Mischformen aus beidem ergeben. 

In der Therapie ist es heilsam, unsere Wunden anzuerkennen. Dies kann leichter geschehen, wenn sie von einem Gegenüber gesehen werden, das in der Lage ist, die Erschütterung und die damit verbundenen Gefühle auszuhalten, den Verletzungen mit Respekt und Vorsicht zu begegnen, Grenzen zu wahren und dennoch Offenheit und Anteilnahme zu signalisieren. Traumatisierte Anteile in uns haben uns Wichtiges mitzuteilen. Sie möchten sich ausdrücken, aber sie brauchen Zeit, um Vertrauen zu fassen. So folgt jeder Prozess seinem ganz eigenen Zeitplan. Ich glaube, dass die tieferen Verletzungen in uns zunächst nicht „behandelt“ werden wollen – vor allem möchten sie wirklich gesehen und gehört werden. 

Laub, Loch, Trauma

Manchmal sind unsere Wunden nicht nur deshalb unzugänglich, weil wir sie verdrängt haben, sondern weil sie sehr früh in unserem Leben passiert sind. Das erste Lebensjahr ist besonders prägend. Im Vergleich zu wahrscheinlich allen Tierarten braucht es beim Menschen sehr viel länger, bis Neugeborene selbständiger werden, z.B. laufen können oder überhaupt in der Lage sind, sich wegzubewegen. In der ersten Zeit sind wir unseren Bezugspersonen schutzlos ausgeliefert, genauso wie unseren Emotionen, die wir haben, aber noch nicht verarbeiten können – Verletzungen sind potenziell noch erschütternder. Bereits im vorgeburtlichen Zustand sind wir fühlende, lebendige Wesen – traumatische Einflüsse können auch in dieser Zeit auftreten. Je mehr Verletzungen im Laufe unseres Lebens hinzukommen, desto schwerer wirken unsere frühesten Verletzungen auf uns (inklusive der prä-, peri- und postnatalen Ebene). Wenn auch niemals bewusst zugänglich, so ist doch der Prozess der eigenen Geburt das für jeden Menschen wahrscheinlich existenziell einschneidendste Ereignis, welches real mit Schmerzen und massiven Bedrohungen verbunden ist. Wenn wir uns in der Welt, auf die wir kommen, willkommen und gehalten fühlen, bilden wir einen wirksamen Schutz gegenüber diesen per se nicht verarbeitbaren Erfahrungen aus. Eine traumatische Kindheit kann jedoch dazu führen, dass sich dieser Schutz nicht ausreichend entwickelt. Die Geburtsmatrizen nach Stanislav Grof beschreiben, in welchen vier Stadien sich eine Geburt ereignet und wie spätere, vor allem traumatische Lebenserfahrungen, die Erfahrung eines bestimmten Geburtsstadiums nachträglich selektiv verstärken können, sodass diese die Wahrnehmung der Gegenwart prägt. Er sieht hier eine wichtige unbewusste Ursache für das im Menschen angelegte Potenzial zu Kriegen und massiver Gewalt. Lebensgeschichtlich frühe Traumata sind nicht immer faktisch nachweisbar, können atmosphärisch aber spürbar, symbolisch zugänglich und damit verarbeitbar werden.

Baum, Sonnenuntergang
weißer Buddha, Sonne

Traumata wirken außerdem transgenerational. Wir übernehmen die Wunden unserer Eltern, Großeltern etc. Gerade bei massiven Traumata, z.B. Kriegserfahrungen, ist es oft erst späteren Generationen möglich, sich dem Thema zu stellen. Traumata verlangen Verantwortungsübernahme, auch wenn wir unsere Verletzungen natürlich nicht selbst zu verantworten haben. Dennoch beginnt Genesung , persönlich und kollektiv, mit der Entscheidung, sich diesen Verletzungen zuzuwenden und sie als die eigenen anzuerkennen, auch wenn uns ein schwieriger Weg bevorsteht. 

Trauma, Baum, Wurzeln, Tempel